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Kolumne: Dialoge mit meiner dementen Mama

  • Autorenbild: Hanna Kuschel
    Hanna Kuschel
  • 22. Juli
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 19. Aug.

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Meine Mutter war Deutsch- und Englischlehrerin. Schon immer hatte sie ein Faible für Sprache. Als wir mal das Brettspiel zu "Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod" gespielt haben, ein Deutschgrammatikspiel, hat sie als Einzige die volle Punktzahl abgeräumt. 

Jetzt, mit dem Fortschreiten ihrer Krankheit, ist es erstaunlich zu sehen, wie ihr Kopf nachlässt, nahezu alle Fähigkeiten verloren sind und doch: die Eloquenz und das Fabulieren, die Liebe zur Sprache - sie ist noch da! Als wäre Sprache unkaputtbar, in Moleküle reingehämmert, an die die allesfressende Demenz nicht drankommt.

[Ich weiß aus Erfahrungsberichten: Das ist sie nicht! Und meine größte Sorge ist, dass meine Mama irgendwann auf immer verstummt].


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Manche ihrer Aussagen schreibe ich mit - sind sie doch auch Zeugnis vom Verlauf dieser schrecklichen Krankheit, von absurden Momenten, von schönen Momenten, von tieftraurigen Momenten. Viele dieser hier zusammengestellten Dialoge sind in Momenten entstanden, in denen ich kein Lebenszeichen erwartet habe. Ihr Blick leer, die Hände in der Luft, etwas für mich Unsichtbares suchend, ihr Geist auf Wanderung. Zuvor hat sie noch "8 Uhr, 120, wo, wo" gestammelt. Und dann plötzlich: ein Satz, so poetisch als wäre er aus einem Gedichteband gepurzelt:

"Sag doch mal, wie sieht es in deinem Herzen aus?"



Eine goldene Regel für den Umgang mit Demenzerkrankten: Lass dich drauf ein!

Sinn, Logik, Wahrheit - all das sind bürgerliche Kategorien! Endlich können wir sie hinter uns lassen und ganz in die unendliche Fantasiewelt der Kranken eintauchen, denn sie haben immer Recht. Ein aktueller Post von Desideria hat mir nochmal geholfen, zu verstehen, dass Demenzerkrankte in ihrer eigenen Realität sind und Kategorien wie Lügen oder Wahrheit für sie nicht mehr existieren - allein das Gefühl und der Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit zählt.



Die Dialoge:

Ich [Auf der Intensivstation nach Schlaganfall]: Kannst du mit den Zehen wackeln?

Sie: Ja, ich könnte schon mit den Zehen wackeln. Aber das fände ich absurd.



Ich: Mama, hast du eigentlich in deinem Leben gespart?

Sie: Nein. Dafür hatte ich nie Zeit.



Ich [gebe ihr eine Schultermassage]: Wie ist das?

Sie: Das lebt



Sie: Die ist vielleicht beschissen [unklar, um wen es geht].

Ich: Ja, die ist richtig nervig, oder?

Sie: So richtig beschissen. Da fällt mir kein anderes Wort für ein.



Ich: Mama, ich habe einen Improtheaterurlaub gemacht. Eine Woche Griechenland mit einer Gruppe und jeden Vormittag hatten wir Improtheaterstunden.

Sie: Und, war das erhebend?

Ich: Ja, das hat total Spaß gemacht.

Sie: Wie schön, dass du so viel Schönes in deinem Leben und aus Deinem Leben machst.



Ich: Ich hab dich eine LKW-Ladung voll lieb.

Sie: Du liebes Bisschen! Da müssen wir uns aber nochmal drüber unterhalten. Aber da haben wir ja noch ein bisschen Zeit. Aber das machen wir auch.



Sie [in der Notausfnahme, Verdacht auf Schlüsselbeinbruch. Ich komme mit einer Tupperdose selbstgemachter Kartoffelsuppe von meiner Schwägerin]:

Es ist überhaupt nicht mehr schön.



Sie: Es ist ein Wunder, dass du da bist. Weißt du eigentlich, wie unendlich doll ich dich liebe?



Sie: Es gab ja auch Zeiten, da hatten wir nicht so viel Kontakt. Erzähl mir über dich. Wie bist du aufgewachsen?



Sie: Hanna, ich kann nicht mehr denken!



Ich: Wie fühlt sich Denken für dich an?

Sie: Als müsste ich mich hinsetzen und alles verarbeiten, was gerade passiert ist, so viel in meinem Kopf. Und ehe ich mich versehe, kommt schon das Nächste.



Sie: Meine Mutti. Meine arme kleine Mutti!

Ich: Ich bin da.

Sie: Aber ich bin nicht da. Lieber Gott, lassen Sie mich doch gehen!



Sie: Ich finde, die Zeit, die wir gemeinsam genießen konnten, die war satt und die hat uns geprägt. Die war mit viel Liebe getrüffelt.



Sie: Bleib offen! Fürchte dich nicht! Du bist das beste Stück, das ich habe. Ich liebe dich!

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