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Kolumne: Entwicklungsaufgabe "pflegebedürftige Eltern"

  • Autorenbild: Hanna Kuschel
    Hanna Kuschel
  • 28. Okt.
  • 3 Min. Lesezeit
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Dabei zuzusehen, wie die Eltern alt und gebrechlich werden und es nur noch schlechter wird, das fühlt sich ganz schön hilflos an. Eine Entwicklungsaufgabe ist das, bei der das Leben von einem fordert, neue Kompetenzen zu entwickeln, um die neuen Herausforderungen zu meistern. Im Ergebnis wird die Persönlichkeit stabilisiert.


"Das ist eine große Entwicklungsaufgabe, wenn die Eltern pflegebedürftig werden und man als Kind in die Verantwortung und Fürsorge geht".

Dieses Zitat wurde mir kürzlich in den Feed gespült. Gelesen hab ich ihn bei desideria.ev, einer Plattform für Angehörige von Demenz-Erkrankten. Als ich ihn las, wollte ich meinen mentalen Textmarker rausholen - vor allem das Wort "Entwicklungsaufgabe" wollte ich neongelb markieren und doppelt unterstreichen.


Entwicklungsaufgabe, laut Wikipedia ist das:

"Eine Aufgabe im Rahmen der persönlichen Entwicklung und Reifung des Menschen. Eine unweigerliche Herausforderung, die sich einem im Laufe des Lebens in den Weg stellt, z.B. der Berufseinstieg. Diese Entwicklungsaufgabe bedeutet Veränderung und man ist gezwungen, neue Fertigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln. Wenn das gelingt, wird die Persönlichkeit stabilisiert", tönt Wikipedia. 


2023 war für mich das Jahr des Verlustes, das Jahr, das mir die Rolle der pflegenden Angehörigen vor die Füße geklatscht hat.

"Friss oder stirb, die Mudsch ist jetzt pflegebedürftig, deal with it!" Und ich dachte, ich hätte im letzten Jahr viel dafür getan, damit ich diese Entwicklungsaufgabe gut absolviere: ich habe viel geweint und meine Mama betrauert.


Ehrlicherweise dachte ich, ich hätte dadurch auf Vorrat getrauert.

Wie so eine kleine Streberin für die Zukunft vorgetrauert, jegliche Traurigkeit zusammengerauft und rausgeheult: darüber, dass sie nicht mehr Zuhause wohnt, dass ich sie nur noch stundenweise alle paar Wochen besuche, dass Familienausflüge nun ohne sie stattfinden, dass sie körperlich so abgebaut hat, dass sie so anders aussieht, dass sie mich das erste Mal nicht richtig erkannt hat.

Damit dieser Trauer-Käse dann auch abgehakt wäre und ich in Zukunft wieder mehr Kapazitäten für happy times habe. 


Trauern: check ✔️ Muddi ist im Pflegeheim, traurig, aber kannst nix machen. Auf zu neuen Aufgaben, lasst uns jetzt das Familienhaus ausräumen.


Und dann bin ich Zuhause und will das Familienhaus ausräumen, will die Dinge super logisch und praktikabel angehen, am besten mit einem Meilensteinplan und klaren Verantwortlichkeiten UND DANN MACHT MEIN VATER DIE DINGE GANZ ANDERS ALS ICH UND HÖRT NICHT AUF MICH UND DANN GEHEN ALLE UHREN IM HAUS FALSCH UND MEIN VATER HAT DIE FALSCHEN KAFFEEKAPSEL GEKAUFT UND DAS ALLES MACHT MICH SO RASEND AGGRESSIV, WIE ICH SELTEN RASEND AGGRESSIV WAR 😡😤😡 Ausrasten wollte ich, auf eine einsame Insel fahren, ABER ICH HAB JA KEIN AUTO BEI MEINEN ELTERN, WAS MICH NOCH RASEND AGGRESSIVER MACHT. 


Und ich glaube, ich will einfach nur nicht, dass die Dinge anders werden. 

Und ich glaube, ich bin einfach immer noch traurig. 


Traurig darüber, dass jetzt die Frühlingssonne da ist, die ich mit der Mama immer auf der Bank vorm Haus genossen habe. Und dass jetzt der Flieder und Weißdorn blüht, den die Mama nicht sehen kann, weil es ihr so schlecht geht. Und dass es jetzt Spargel gibt, den die Mama so gerne mag.


Und ich glaube, wenn ich wütend bin, dann bin ich eigentlich hilflos. Weil dabei zu sein, wenn die Eltern alt und gebrechlich werden und es nur noch schlechter wird, das fühlt sich ganz schön hilflos an.


Also ja, ich stimme zu: Das ist eine Entwicklungsaufgabe, wenn man in die Fürsorge und Verantwortung für die Eltern geht. 



Dieser Text ist aus Mai 2024.

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