Kolumne: mein 5-Jahres-Rückblick
- Hanna Kuschel

- 10. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Vor fünf Jahren wurde die Pandemie ausgerufen.
Damals war ich...
... 31 und in der Endphase meiner 11-jährigen Beziehung. Ich war nicht unglücklich, aber hatte meine Strategien entwickelt, um mich neben meinem Partner nicht so klein zu fühlen. Ich teilte bestimmte Dinge nicht mehr, von denen ich wusste, dass er dazu eine andere Meinung haben würde. Ein Gespräch würde so ablaufen: Ich weiß nicht, was ich mit dir reden soll. Er: Dann benutz' die Blabla-Sprache. Blablabla.
Ich hatte schon länger keine neuen Leute kennengelernt, aus Bequemlichkeit, ich hatte ja einen Partner, und auch aus einer Unsicherheit heraus, was ich mit fremden Menschen reden soll. Ich glaube, sowas nennt man gemeinsam einsam.
Ich war fleißige Vollzeitarbeiterin im Konzern und Pendlerin, gute 12 Stunden die Woche verbrachte ich im Auto.
Die Pandemie brachte das Homeoffice und die Trennung.

Heute bin ich...
... 36 Jahre alt und grob überschlagen war ich die letzten fünf Jahre Single. Außerdem am Start die letzten fünf Jahre: die Kacke, die stets am Dampfen war. Ich hatte die bisher schwersten Jahre meines Lebens.
Ich habe meine Mutter dabei begleitet, wie sie mehr und mehr Fähigkeiten verlor, ich habe ihr in der Intensivstation vorgesungen, sie mehrfach in meinem Kopf beerdigt, sie in ihrer absoluten Verzweiflung getröstet, ihr im Pflegeheim den Kopf gestreichelt und immer wieder "Ich bin da. Ich bin da" gesagt.
Ich habe die allerletzten Grundschulhefte aus meinem Kinderzimmer geschafft und gesehen, wie die Wärme das Elternhaus verlässt, sobald die Mama nicht mehr drin wohnt.
Mit meinen Brüdern bin ich so eng wie noch nie. Die Beziehung zu meinem Vater habe ich aufgeräumt und durch Therapie gelernt, dass ich in meiner Vergangenheit immer eine Funktion hatte. Und die war, möglichst unkompliziert, leistungsstark und unterhaltsam zu sein.
Während der Pandemie und nach der Trennung habe ich unheimlich viel gearbeitet und eine starke berufliche Entwicklung hingelegt. Heute diene ich dem Konzern nur noch 3 Tage die Woche. Mein Selbstwert hängt nicht mehr so stark davon ab, wie viel ich am Tag geleistet habe. Ich kann besser chillen.
Ich habe mich auf die Reise begeben, aus all meinen Interessen und Stärken mein individuelles Berufsleben zu weben.
Ein Berufsleben, das sich zu 100% nach mir anfühlt. Abseits der Erwartungen anderer (meiner Eltern oder der Gesellschaft) und auch abseits von Pfadabhängigkeit (einmal Konzern, immer Konzern, und weil man so brav alle Arbeitsanforderungen erfüllt und wir Frauen in Führung brauchen, Führungskraft?). Was es wird, Familientherapeutin meets Autorin, sowas in die Richtung, still work in progress.
Ich habe wunderbare, starke und feinfühlige Frauen in meinem Leben und erlebe Mädelsurlaube wie bei Sex and the City.
Weil sich diese Freundschaften durch Schwangerschaften und Babies verändern, bleibe ich offen für neue Leute und schreibe auch einfach mal jemanden an, die ich cool finde und näher kennenlernen möchte. Es fällt mir leichter, mit Leuten zu quatschen seitdem ich weiß, dass ich nur 50% der Verantwortung fürs Gespräch trage und es keine Wissensabfrage ist.
Ich bin politischer geworden, war auf Demos und bin mir der Privilegien bewusst, die ich durch mein weißes Akademikerelternhaus hatte und auch der Nachteile, die ich durch mein Frau-Sein erfahre.
Ich habe gelernt, dass mich mein Beziehungsstatus nicht definiert. Ich habe gelernt, dass man Gefühle nicht erzwingen kann und sie auch nicht wachsen, wenn man dran zieht. Ich habe gelernt, dass ich überangepasst bin und schneller sagen muss, wenn mich was nervt und dass es das ist, was das Leben lebendig macht. Mein letzter Beziehungsversuch hat mich davon geheilt, unbedingt eine Beziehung zu wollen.
Was sein soll, wird sein. Amen 🙏🏼
Dieser Text ist aus März 2025.



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