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14 Suchergebnisse für „kolumne“

  • Kolumne: Mein einsamer Sommer

    Die Formel für meine Einsamkeit mit Mitte 30 ist: Partnerlosigkeit + zwei schwere Bindungsverluste + familiäre Trennung + Freundschaften orientieren sich hin zu Partnerschaft und Familie + Effekte des Pendler-Daseins. Wie ich die Headline so tippe, da meldet sich gleich mein Bedürfnis, zu relativieren: Ja, manchmal einsam halt. Nicht immer. Aber ja, es gab einsame Momente in diesem Sommer. Manchmal. Und darum soll es in diesem Text gehen. Um Einsamkeit mit Mitte 30. Es gibt sowas wie das reflexhafte Bedürfnis im Menschen, klarzustellen: Ich bin allein, nicht einsam. Alleinsein, das ist selbstgewählt, das tut gut. Einsam zu sein, das ist das Gegenteil davon. Wer einsam ist, der leidet. Der hätte gerne mehr Gesellschaft, mehr Verbindung als er gerade hat. Mit dem stimmt doch was nicht! Einsam-Sein, das will man auf keinen Fall. Und doch drehe ich es in diesem Text um und sage: Ich bin manchmal einsam, nicht alleine. Definition von Einsamkeit Einsamkeit ist das unangenehme Gefühl, das entsteht, wenn die Qualität und Quantität von persönlichen Beziehungen nicht den persönlichen Bedürfnissen entspricht ( Kompetenznetz Einsamkeit ). Also zu wenig Kontakt und oder zu schlechter Kontakt mit anderen; ich fühle mich nicht auf die Art verbunden, wie ich das gerne wäre. Für Einsamkeit gibt es kein objektives Maß: keine Glücksformel, wie viele Freunde man haben muss oder wie oft man sie hören muss, um Einsamkeit zu umgehen. Es zählt immer das subjektive Gefühl: Jetzt gerade wünsche ich mir mehr Nähe! Einsamkeit ist eine der existentiellsten Erfahrungen, die man als Mensch haben kann. Wir werden alleine geboren und sterben alleine, sagt der Psychoanalytiker Irvin D. Yalom. Wir kommen aus der Einsamkeit und gehen in die Einsamkeit. Die Isolation am Ende des Lebens ist sogar eine existentielle Grundtatsache – wir sterben alleine! Und dazwischen versuchen wir, uns in 2er oder größeren Gruppen zu organisieren. Einsamkeit tötet. Das war für mich eine der einprägsamsten Erkenntnisse aus meinem Psychologie-Studium. Korrekter gesagt und wissenschaftlich ausgedrückt: Einsamkeit geht mit erhöhter Mortalität einher. Einsamkeit wird auch in Verbindung gesetzt mit depressiven Störungen, suizidalem Verhalten, Schlafproblemen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In welche Richtung das genau wirkt: ob Einsamkeit krank macht, oder Kranksein einsam macht – die Wissenschaft geht davon aus, dass es ein wechselseitiger Zusammenhang ist, also ein bisschen von beidem. Fest steht: Soziale Beziehungen sind eine Ressource für ein gesundes Leben. Sie reduzieren Stressfaktoren, steigern Resilienz und wirken sich positiv auf das Verhalten und den Lebensstil aus. Und ja: ich kann bestätigen. Meine Freunde tun meinem Körper und Geist gut! Wenn sie denn da sind… Wie kommt es zu meiner Einsamkeit? 1)      Nun, zu allererst ist da meine Partnerlosigkeit. Seit fünf Jahren bin ich Single. Seit dem Ende meiner 11-jährigen Partnerschaft ist die Stelle für die wichtigste Bezugsperson in meinem Leben unbesetzt und in offener Ausschreibung. 2)      Ein weiterer, schwerer Verlust in meiner Beziehungslandkarte: Meine Mama ist dement, die Krankheit in den letzten Jahren stark fortgeschritten. Eine Unterhaltung ist nicht möglich, geschweige denn, das, was früher war: von ihr verstanden und unterstützt zu werden, zu telefonieren, wenn ich Trost von ihr brauche. Das gibt es heute alles nicht mehr. Unterstützung, das braucht sie jetzt von mir. 3)      Meine weitere Familie lebt 600 km weit entfernt. Meine Brüder sind cool, führen aber ihre eigenen Leben, mit Familie. Ich war noch nie alleine mit einem meiner Brüder oder mit meinem Vater im Urlaub. Gibt ja Familien, die sowas machen. Die Beziehung zu meinem Vater ist außerdem angespannt. 4)      Meine Wahlfamilie: meine Freundinnen. Und hier liegt der Casus Knacksus. Eine Frage, die beim Erstgespräch einer Therapie immer gestellt wird, ist: Warum kommen Sie jetzt? Also, liebe Einsamkeit, warum kommst du gerade jetzt? Weil sich meine Freundschaften gerade so stark verändern. Für mich fühlt es sich so an, als müsste ich nach 17 Jahren in München nochmal von vorne anfangen. Meine Freundinnen waren in den letzten Jahren das Wichtigste für mich, mein Quell für Freude und Energie, mein Auffangnetz. Die Umarmungen und Gespräche mit meinen Freundinnen haben mir so viel Trost und Zärtlichkeit geschenkt. Zwei meiner engsten Freundinnen haben im letzten Jahr Babys bekommen. Andere machen lange Reisen. Wieder andere haben ihre Lebenspartner gefunden. Dann Freunde in langjährigen Beziehungen, die eine feste Außenbeziehung mit ihrem Sofa führen oder sich hauptsächlich in ihren Pärchen-Bubbles verabreden und Single-Freunde gar nicht erst einladen. Ganz normale Mitte 30-Phänomene. Unterm Strich bleibt gleich, was all das für mich bedeutet: Meine Freunde haben weniger Zeit für mich und andere Prioritäten. Und da ist es wieder, das reflexhafte Bedürfnis, etwas klarzustellen: Ich mache das niemandem zum Vorwurf! Ich gönne jedem, wenn sich der Traum nach Familie erfüllt oder das lang ersehnte Liebesglück eintritt. Ich beschreibe lediglich, wo mein Einsamkeitsgefühl herkommt: unter anderem aus vielen kleinen Freundschaftsveränderungen. 5)      Dann wäre da noch fünftens: Meine Arbeitsbeziehungen gehen nicht über das Berufliche hinaus. Arbeitskontakte können eine wertvolle Quelle für Eingebundenheit sein. Und sie sind es in der Theorie bei mir auch, ich verstehe mich gut, nur: Ich bin Pendlerin und meine Arbeitsbeziehungen schwappen quasi nie über ins Private. Ein spontanes Afterwork oder Weggehen am Wochenende gibt es nicht. Beziehungsweise: Ich müsste dafür 80 km fahren. Mache ich aber nicht.   Die Formel für meine Einsamkeit mit Mitte 30 ist also: Partnerlosigkeit + zwei schwere Bindungsverluste + familiäre Trennung + Freundschaften orientieren sich hin zu Partnerschaft und Familie + Effekte des Pendler-Daseins.   Und dann stehe ich da, mit meinem Bedürfnis nach Verbundenheit, mit meinem Hunger auf das Leben. Und verspüre eine so krasse Diskrepanz zwischen dem, wie ich mein Leben füllen will: mit Lebendigkeit, mit Lachen, mit Freude, mit Tanzen, Musik und Erlebnissen, von denen man sich noch mit 80 erzählt. Und habe gefühlt niemanden für mein Leben. Im Moment zumindest, gerade jetzt. Mit wem verbringe ich zumindest Teile meiner 30 Urlaubstage? Mit wem gehe ich auf Konzerte? Mit wem kann ich abends rausgehen, um überhaupt in die Nähe einer Chance zu kommen, im echten Leben nochmal einen potenziellen Partner kennenzulernen? Wie fühlt sich Einsamkeit an? „Akute Einsamkeit sorgt bei den meisten von uns für einen emotionalen Hunger, einen ernstzunehmenden seelischen Schmerz, der mit einem eklatanten Bedeutungs- und Selbstwertverlust einhergeht, mit Empfindungen von Scham, Schuld und Verzweiflung,” beschreibt es Daniel Schreiber in seinem Essay-Buch “Allein”. Für mich heißt das konkret: Die Momente, in denen ich meine Einsamkeit spüre, fühlen sich so an, als würde sich mir die Kehle zuschnüren. Als legte sich etwas Tonnenschweres auf meine Brust und nimmt mir den Atem. Wenn ich in meinem Kalender sehe, dass in den nächsten Tagen und Wochen zu wenig Schönes mit Freunden geplant ist, reißt es mir den Boden unter den Füßen weg. Ich kontrolliere dann ständig mein Handy, ob nicht doch noch eine Nachricht reinkommt. Eine Frage reinfliegt, ob ich Zeit habe und wir was zusammen machen wollen. Kommt auf dieses Gefühl eine frische Ablehnungserfahrung beim Dating dazu, dann gesellt sich zur Atemnot eine sprudelnde Übelkeit. Ich glaub, ich muss kotzen, es ist quasi nicht auszuhalten. Aber: Ich muss es aushalten, geht ja nicht anders. Das Einzige, was hilft: Ablenken, durch instagram scrollen, Gefühle nicht fühlen. Ich bin vier dieser Erfahrungen davon entfernt, mir ein Haustier anzuschaffen. Ich glaube, viele Menschen mit Familie oder Partnerschaft können sich nicht mehr daran erinnern, wie sich Einsamkeit anfühlt. Sie sind froh um jeden Moment Alleinsein und Ruhe, den ihnen ihr lebendiger Alltag schenkt. Dass sich Einsamkeit tief in dein Mark frisst und deine Seele fickt, das verdrängt man schnell. „Wir sind nicht im Stande, uns an die Intensität unserer eigenen Einsamkeitserfahrungen zu erinnern. Dementsprechend können wir uns auch nicht vorstellen, wie schmerzlich diese Erfahrung für andere Menschen ist,” schreibt Daniel Schreiber dazu. “Du lebst wie eine Königin,” meinte mein Bruder kürzlich zu mir – der wohl auch seine letzte schmerzliche Einsamkeitserfahrung verdrängt hat. Seine Familie war im Frühjahr drei Wochen ohne ihn auf Kur gewesen und er hatte sie schrecklich vermisst. Ja, ich lebe wie eine Königin, wenn es darum geht, zu 100% über mein Reich zu verfügen. Aber mein Reich ist auch schrecklich leise, wenn ich selbst nicht genug Geräusche mache. Viele sind einsam, niemand gibt es gerne zu. Die Statistik zeigt, dass ich mit meinem Einsamkeitsgefühl nicht alleine bin. Im aktuellen TK Einsamkeitsreport geben zwei Drittel der 18 bis 39-Jährigen an, sich manchmal einsam zu fühlen.  Drüber reden tut man aber selten, man will nicht zur Last fallen, und schambehaftet ist Einsamkeit nach wie vor. Frauen offenbaren sich eher: 40% der Befragten gaben an, manchmal über ihr Einsamkeitsgefühl zu sprechen, bei Männern sind es nur 22%. Und ich? Ich habe mich dir mit diesem Text jetzt zugemutet mit meiner Verletzlichkeit, tut mir Leid, ich find‘s selbst echt unangenehm. Und, was macht das mit dir? Einsamkeit ruft beim Gegenüber eine Furcht hervor, eine "Angst vor Ansteckung". Im kollektiven Bild schwingt mit, dass die Einsamen ihr Schicksal verdient hätten: Dass etwas nicht stimmt mit ihnen, sie zu schüchtern sind oder zu eigenbrötlerisch oder selbstmitleidig oder generell unattraktiv. Das Letzte, was ich mit diesem Text übrigens will, ist, Mitleid zu bekommen. “Du Arme, so einsam bist du also.” Einfach lesen und Klappe halten, bitte! Ihr dürft aber gerne schreiben, wie euch der Text gefallen hat 😉  Die Wahrheit ist: Niemand von uns kann der Einsamkeit entkommen. Sie ist eine unabwendbare, existentielle Erfahrung, vielleicht auch eine notwendige. Wer sagt, dass er nie einsam ist, DER LÜGT!!!!!! Übrigens: Auch Menschen in Beziehungen sind einsam. Das Leben mit einem Partner zu teilen – aber separierte Innenwelten zu haben, in dem der andere kaum eine Rolle spielt. Das stelle ich mir auch isoliert und unverstanden vor. Aber: Wenn man Single ist und sich einsam fühlt, dann bleibt man das auf absehbare Zeit auch. Was will ich mit diesem Text und wie kriege ich einen positiven Spin zum Ende hin? Nun, das weiß ich auch nicht recht. Auf keinen Fall will ich Einsamkeit romantisieren, die positiven Seiten hervorheben, die sie wohl auch hat (Schult die Selbstwahrnehmung, man übernimmt stärkere Verantwortung fürs eigene Leben, wichtiger Weg zum inneren Wachstum, Beziehungspflege mit sich selbst stärkt Beziehungen zu anderen) . Ich wollte einem Gefühl ein Gesicht geben, das selten ein Gesicht bekommt. Ich wollte mit meinem Text außerdem eine Lebensphase beschreiben, in der einige in der Rush Hours ihres Lebens sind: verheiratet, verpartnert, mit kleinen Kindern, vielleicht schon wieder zurück im Job, rundum gefordert, rundum Lebendigkeit. Und andere irgendwie zu wenig Lebendigkeit haben. Ich wollte Anknüpfungspunkte für Menschen schaffen, denen es ähnlich geht wie mir, damit sie weniger einsam sind mit ihrer Einsamkeit. Was ich beim akuten Gefühl von Einsamkeit gemacht habe 1.       Ansprechen. Nicht immer, aber manchmal: habe ich Freundinnen geschrieben, dass ich mich gerade einsam fühle. Es tat gut, auszusprechen, wie es wirklich in mir aussieht. Ich habe darauf auch wohltuende Reaktionen bekommen. Schließlich brauchen die anderen auch erstmal das Wissen darüber, was los ist, um den ersehnten Schritt näher zu kommen. Niemand kann Gedanken lesen – oft scheinen die Dinge nach außen anders: man ist unterwegs, busy, eingebunden, postet ja auch nur die rosigen Momente als insta Story. Trotzdem habe ich das nicht immer gemacht, das Ansprechen. Als es mich zum ersten Mal überkam: Okay, mutig sein, das E-Wort beim Namen nennen, andere einweihen, so will es das Psychologie Lehrbuch. Als es dann aber nicht besser wurde und die Einsamkeit wiederholt anklopfte: dann habe ich es nur mit der einen Single-Freundin geteilt, die in der gleichen Lebenssituation ist wie ich und die genau weiß, wie es sich anfühlt. 2.       In die Aktion gehen Ich bin außerdem aktiv gegen meine Einsamkeit vorgegangen: Habe mir Bumble for Friends runtergeladen, Frauen gematcht, mich verabredet, mich fremden Gruppen angeschlossen, Smalltalk betrieben, hatte Dates und hab mich immer wieder “raus” getraut. Und das ist noch nicht die Endlösung gegen Einsamkeit, neue Kontakte haben noch nicht den Wohlfühlfaktor, den langjährige Freundschaften haben, in denen man sich mühelos suhlen kann und aufgeladen rausgeht. Aber ich habe ein paar neue Freundschafts-Fäden aufgenommen, die ich weiterverfolgen möchte. Und ich weiß, dass Gefühle in Wellen kommen und gehen. Meine Freundinnen sind von ihren Reisen zurückgekehrt. Ich bin selbst erstmal viel unterwegs. Und ich habe kritisch nachgeschaut: Gibt es da vielleicht ein paar Nachrichten bei WhatsApp, die noch auf Antworten von mir warten? War ich selbst proaktiv genug im Verabredungen-Vorschlagen? Manchmal überwältigt einen das akute Gefühl des Verlassen-Seins so stark, dass es von der eigentlichen Sachlage ablenkt. Ein neutraler, kritischer Blick hilft. Bin ich wirklich ohne Bindungen? Ist das WIRKLICH so? Was bei mir zentral war: irgendetwas geplant zu haben, auf das ich mich freuen kann. Damit lassen sich auch Hängepartien überwinden - Vorfreude is Queen!     Und zum Abschluss Tipps bei akuter Einsamkeit: 1.       Reality Check:  Bin ich wirklich einsam? Oder gibt es da noch Leute, die auf Antworten von mir warten? 2.       Aufschreiben:  Welche Menschen sind in meinem Leben? Mit wem wäre ich gerne enger befreundet? 3.       Gefühl zulassen:  Hallo Einsamkeit, was willst du mir sagen und warum kommst du gerade jetzt? Über die Meditations-App Balloon habe ich wohltuende Meditationen zum Thema "Einsamkeit" gefunden, die man sich anhören kann, wenn das Gefühl ganz akut ist. 4.       Den Kalender raus zoomen:  Ist es vielleicht gerade eine Hängepartie und in ein paar Monaten geht’s wieder rund? Ein großzügiger Blick in den Kalender und das, was in den nächsten sechs Monaten passieren wird, gibt dir eine Idee davon, ob dein aktuelles Gefühl vielleicht schon bald wieder passé sein wird. 5.       Drüber reden:  “Ich fühle mich gerade einsam” – gibt es da jemanden, dem du diesen Satz sagen könntest? Einfach mal aussprechen und schauen, was passiert.   6.       Mikro Kontakte pflegen:  der kurze Plausch im Flur mit den Nachbarn, den Kellner nach seiner Empfehlung fragen, der alten Dame die Einkäufe tragen. Diese sogenannten “loose ties”, also lockere Verbindungen zu Bekannten oder Nachbarn, werden häufig unterschätzt. Dabei führt eine kurze Begegnung oft zu netten Interaktionen, die die Laune verbessern. 7.       Offenen Aufruf für deine Pläne posten: Worauf hast du denn gerade Lust? Konzert, Wandern, Kino oder Theater? Kaufe Tickets für zwei und poste einen offenen Aufruf bei insta oder WhatsApp: Habe diese Tickets, wer möchte mit? Hat bei mir schon öfter funktioniert. Stell’ dir vor, das würden alle machen. Man hätte ständig eine Veranstaltungsbörse seiner Mitmenschen zur Hand, wie genial wäre das denn! 8.       Einer offenen WhatsApp Gruppen beitreten: Über den instagram-Kanal von Carina Blumenau und ihre "Get in Touch"-Gruppen bin ich auf eine WhatsApp-Gruppe gestoßen, in der rund 250 Single-Frauen in München sind. Hier werden regelmäßig Aufrufe zum gemeinsamen Essengehen, Tanzen, Konzerte oder Wandern gepostet und auch Empfehlungen für Friseure uä ausgetauscht. Vielleicht gibt es auch in deiner Nähe eine offene WhatsApp-Gruppe, der du beitreten kannst? "Wenn ich bereit bin, Einsamkeit zu erleben, entdecke ich Verbindung überall." Jennifer Welwood

  • Kolumne: mein Elternhaus ist verkauft

    Schon vor über zwei Jahren hatte sich der Abschied angekündigt und ich habe da schon eine Kolumne über

  • Kolumne: ein Jahr getrennt

    Eine Sammlung von Dingen, die mir nach meiner Trennung gut getan haben In 2021 war's richtig kacke. Diese Dinge haben mir im Jahr nach meiner Trennung gut getan: 🔹Freunde, die sagen: "Du musst dich nicht neu erfinden. Du warst auch ohne ihn immer eine Persönlichkeit"  🔹oder "Das muss alles total anstrengend sein. Aber irgendwann kommst du an und ehe du dich versiehst, ist dein Joie de Vivre zurück"   🔹in der Arbeit Vertrauen und Wertschätzung zu erfahren   🔹durch Arbeitszeiten Struktur und durch Arbeit Aufgaben zu bekommen 🔹sonnige Wetterprognosen 🔹Palak Paneer 🔹Podcasts von Stefanie Stahl  🔹weitere gleichgesinnte Freundinnen über Bumble BFF zu scouten 🔹Journaling 🔹Auto zu fahren 🔹mich in meiner alle Bedürfnisse erfüllenden Traumwohnung voll auszuleben 🔹Payday 🔹Wiedereröffnung Gastro 🔹Instaposts zu schreiben 🔹alle Entscheidungen, die mir gehören  🔹mit 3 inspirierenden Frauen 12 Wochen lang darüber zu sprechen, was man kann und was man will und wie man sichergeht, dass andere auch merken, was man kann und was man will. #workingoutloud Dieser Text ist aus 2021.

  • Kolumne: Der Schlaganfall meiner Mutter

    Ziemlich echt: die Geräte, die die Vitalwerte meiner Mama auf der Intensivstation überwachen Instagram ist für mich ein Ort, wo ich Dinge teile, die ich schön oder lustig finde oder die mich inspirieren. Dadurch ist es sowas wie mein digitales Tagebuch geworden.  Niemand erwartet, dass ich hier mein echtes Leben lückenlos dokumentiere. Aber alles, was ich poste, ist durch irgendetwas Echtes aus meinem Alltag angestoßen. Und ich habe auch schon erfahren, wie viel Verbundenheit durch instagram entstehen kann. Diese Woche war ziemlich echt. Seit Montag liegt meine Mama nach leichten Schlaganfällen auf der Intensivstation. Sie ist in einem Zustand, den Ärzte Delir nennen. Vereinfacht ausgedrückt: Es geht ihr sehr schlecht. Das Positive: Sie kann schlucken und sie scheint keine Lähmungen zu haben. Manchmal ist sie ansprechbar, das Reden fällt ihr schwer. Als sie mich letztens erkannt hat, sagte sie: "Schatz, ich dachte, du wärst schon weg". Ja, Mama, ich dachte auch, du wärst schon weg. Sie sagt aber auch sowas wie: "Natürlich könnte ich mit meinen Zehen wackeln, aber das fände ich absurd." (Auf meine Aufforderung hin, das doch mal zu tun.) Wenn wir gemeinsam 'Komm lieber Mai und mache' singen, warnt sie vorher: "Das kann ich nur in moll". Dann stimmt sie ein und summt die zweite Stimme. Das ist aber auch schon zwei Tage her.  Ich teile das hier, weil es mir gut tut, wenn Menschen, die mir wichtig sind oder denen ich im Alltag begegne, wissen, welche Hintergrundmusik in meinem Leben läuft. Und dass es zur Zeit eher eine Sorgen-Kakofonie ist. In moll natürlich.  Ich teile das, weil es mir hilft, auf Verständnis für meine Zerstreuung zu stoßen oder hier und da ein paar nette Worte zu hören. Ohne das Thema dann groß ausbreiten oder weitere Fragen beantworten zu müssen.  Was mir nicht hilft: Geschichten von vermeintlich ähnlichen Krankheitsverläufen In diesen Tagen hatte ich einen Glücksbringer dabei, der mir beim Packen in die Arme gefallen ist: ein orangefarbenes Band aus der Bundeskunsthalle. Zur Weihnachtszeit hatten sie dort eine Aktion: Die Rückwand des Museumscafés war mit vielen bunten Bändern geschmückt. Auf jedem Band stand ein anderer Wunsch. Aus diesem Bändermeer konnte man sich einen passenden Wunsch aussuchen und mitnehmen.  Auf meinem steht: Ich wünsche unseren Müttern noch viele glückliche und gesunde Jahre 🤍 Die Glücksbringer-Bänder aus der Bundeskunsthallte Bonn. Mein Band begleitet mich bis heute. Dieser Text ist von März 2023.

  • Kolumne: Meine Speeddating-Erfahrung

    Eine Übung im Offensein, auf verschiedene Menschen Eingehen und eine gemeinsame Gesprächsebene Finden: Speeddating Ich hab da was gemacht, das wollte ich unbedingt mal machen: Speeddating 🗣⏱️💕 Nicht, weil ich glaube, so den Mann meiner Träume zu finden. Einfach aus Neugierde, als Erfahrung und soziales Experiment. Wie ist das so, wer ist da so, und ist es wirklich so skurril wie im Film? 🧐 Soviel vorab: Jepp, it is 😅 Ich also "Speeddating München" gegoogelt, eine Freundin animiert, 22€ gelöhnt, Altersgruppe 28-42 gewählt. Und flugs stehen wir da, mitten im Parkcafe, wo sich eine Gruppe im Eingangsbereich sammelt und verschämte Blicke austauscht. "Seid ihr auch fürs Speeddating da?" Nicken.  Der Erste kommt auf uns zu. "Wie ist euer Nickname?", will er wissen, sein Sprachfehler nur leicht hörbar. "Also ich bin Snoopy39", sagt er und da zerreißt es mich fast 😂 🗣 Los geht das Flirten am Fließband: Nach 7 Minuten bimmelt's, die Männer rutschen eins weiter, der nächste setzt sich und stellt die obligatorische, erste Frage: "Wie ist dein Nickname?". Den trägt man in sein Notizblatt ein. Da vermerkt man auch, ob man die Person wiedersehen möchte. Ein paar freche Flirttipps gibt's gratis dazu.  Freche Flirt-Tipps vom Veranstalter ⏱️ 84 Minuten später habe ich 12 Männer kennengelernt. Snoopies, Speedy Gonzalezes und weitere. Da waren die, die "jetzt mal wirklich heiraten wollen". Die extra aus dem bayerischen Land reingefahren sind, schick im Hemd. Die erklären, dass sie als nächstes dann zu Pickup-Artists gehen, wenn das übers Speeddating nicht klappt. Und die, die sich direkt mit einer Kurzbiographie vorstellen. Die beim Online-Dating "nicht so Glück haben". Die sich große Sorgen machen: Wenn er jetzt meine Freundin UND mich wiedersehen will und es kommt zum zweiten Date mit meiner Freundin UND mir, ob wir uns dann nicht zu sehr über ihn austauschen würden? Hold your horses, Cowboy, denke ich 🐎🤠😄 Apropos zweites Date: Meine vorbereitete Frage war: "Angenommen, wir treffen uns zum zweiten Date. Was müsste ich tun, um es so richtig zu verkacken?".  🔹️Schlecht gelaunt sein 🔹️Die ganze Zeit am Handy hängen 🔹️Mich in eine Bibliothek mitnehmen  waren die Antworten. Diese Frage wurde außerdem zu meiner Freundin weitergetragen, die ein paar Stühle weiter saß 😄 2️⃣ Meine zweite Frage war: "Was war ein Moment in den letzten zwei Wochen, in dem du ganz glücklich warst?". "Als mich meine dänische Dogge wachgeküsst hat 😘" - die Antwort von "Urmensch" kam wie aus der Pistole geschossen. Seelig lächelnd legte er den Kopf zur Seite, sein schmaler Zopf blitzte neckisch über die Schulter. Zuhause auf dem Land warten vier Katzen und zwei Hunde auf ihn, erklärte er 🐱🐱🐱🐱🐕🐕 Sein Hobby ist übrigens Schatzsuchen, also mit Metalldetektor bewaffnet über Felder ziehen 🥇 Der Auswertungsbogen, in den man Notizen zu jedem Date eintragen kann ▶️ Was ist nun mein Fazit?  Für mich war's ne Gaudi. Eine Übung im Offensein, auf unterschiedliche Menschen Eingehen, eine Gesprächsebene Finden. Ich finde, das hat geklappt. Ich war aber auch total platt danach.  Und ich weiß nicht, es ist ja dann schon schön, wenn Snoopy sowas sagt wie: "Was machst du eigentlich hier, du siehst doch ganz gut aus, du könntest doch auch normal Leute kennenlernen?" Dieser Text ist aus Februar 2023.

  • Kolumne: Entwicklungsaufgabe "pflegebedürftige Eltern"

    Dabei zuzusehen, wie die Eltern alt und gebrechlich werden und es nur noch schlechter wird, das fühlt sich ganz schön hilflos an. Eine Entwicklungsaufgabe ist das, bei der das Leben von einem fordert, neue Kompetenzen zu entwickeln, um die neuen Herausforderungen zu meistern. Im Ergebnis wird die Persönlichkeit stabilisiert. "Das ist eine große Entwicklungsaufgabe, wenn die Eltern pflegebedürftig werden und man als Kind in die Verantwortung und Fürsorge geht". Dieses Zitat wurde mir kürzlich in den Feed gespült. Gelesen hab ich ihn bei desideria.ev , einer Plattform für Angehörige von Demenz-Erkrankten. Als ich ihn las, wollte ich meinen mentalen Textmarker rausholen - vor allem das Wort "Entwicklungsaufgabe" wollte ich neongelb markieren und doppelt unterstreichen. Entwicklungsaufgabe, laut Wikipedia ist das: "Eine Aufgabe im Rahmen der persönlichen Entwicklung und Reifung des Menschen. Eine unweigerliche Herausforderung, die sich einem im Laufe des Lebens in den Weg stellt, z.B. der Berufseinstieg. Diese Entwicklungsaufgabe bedeutet Veränderung und man ist gezwungen, neue Fertigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln. Wenn das gelingt, wird die Persönlichkeit stabilisiert", tönt Wikipedia.  2023 war für mich das Jahr des Verlustes, das Jahr, das mir die Rolle der pflegenden Angehörigen vor die Füße geklatscht hat. "Friss oder stirb, die Mudsch ist jetzt pflegebedürftig, deal with it!" Und ich dachte, ich hätte im letzten Jahr viel dafür getan, damit ich diese Entwicklungsaufgabe gut absolviere: ich habe viel geweint und meine Mama betrauert. Ehrlicherweise dachte ich, ich hätte dadurch auf Vorrat getrauert. Wie so eine kleine Streberin für die Zukunft vorgetrauert, jegliche Traurigkeit zusammengerauft und rausgeheult: darüber, dass sie nicht mehr Zuhause wohnt, dass ich sie nur noch stundenweise alle paar Wochen besuche, dass Familienausflüge nun ohne sie stattfinden, dass sie körperlich so abgebaut hat, dass sie so anders aussieht, dass sie mich das erste Mal nicht richtig erkannt hat. Damit dieser Trauer-Käse dann auch abgehakt wäre und ich in Zukunft wieder mehr Kapazitäten für happy times habe.  Trauern: check ✔️ Muddi ist im Pflegeheim, traurig, aber kannst nix machen. Auf zu neuen Aufgaben, lasst uns jetzt das Familienhaus ausräumen. Und dann bin ich Zuhause und will das Familienhaus ausräumen, will die Dinge super logisch und praktikabel angehen, am besten mit einem Meilensteinplan und klaren Verantwortlichkeiten UND DANN MACHT MEIN VATER DIE DINGE GANZ ANDERS ALS ICH UND HÖRT NICHT AUF MICH UND DANN GEHEN ALLE UHREN IM HAUS FALSCH UND MEIN VATER HAT DIE FALSCHEN KAFFEEKAPSEL GEKAUFT UND DAS ALLES MACHT MICH SO RASEND AGGRESSIV, WIE ICH SELTEN RASEND AGGRESSIV WAR 😡😤😡 Ausrasten wollte ich, auf eine einsame Insel fahren, ABER ICH HAB JA KEIN AUTO BEI MEINEN ELTERN, WAS MICH NOCH RASEND AGGRESSIVER MACHT.  Und ich glaube, ich will einfach nur nicht, dass die Dinge anders werden.  Und ich glaube, ich bin einfach immer noch traurig.  Traurig darüber, dass jetzt die Frühlingssonne da ist, die ich mit der Mama immer auf der Bank vorm Haus genossen habe. Und dass jetzt der Flieder und Weißdorn blüht, den die Mama nicht sehen kann, weil es ihr so schlecht geht. Und dass es jetzt Spargel gibt, den die Mama so gerne mag. Und ich glaube, wenn ich wütend bin, dann bin ich eigentlich hilflos. Weil dabei zu sein, wenn die Eltern alt und gebrechlich werden und es nur noch schlechter wird, das fühlt sich ganz schön hilflos an. Also ja, ich stimme zu: Das ist eine Entwicklungsaufgabe, wenn man in die Fürsorge und Verantwortung für die Eltern geht.  Dieser Text ist aus Mai 2024.

  • Kolumne: mein 5-Jahres-Rückblick

    Vor fünf Jahren wurde die Pandemie ausgerufen. Damals war ich...  ... 31 und in der Endphase meiner 11-jährigen Beziehung. Ich war nicht unglücklich, aber hatte meine Strategien entwickelt, um mich neben meinem Partner nicht so klein zu fühlen. Ich teilte bestimmte Dinge nicht mehr, von denen ich wusste, dass er dazu eine andere Meinung haben würde. Ein Gespräch würde so ablaufen: Ich weiß nicht, was ich mit dir reden soll. Er: Dann benutz' die Blabla-Sprache. Blablabla.  Ich hatte schon länger keine neuen Leute kennengelernt, aus Bequemlichkeit, ich hatte ja einen Partner, und auch aus einer Unsicherheit heraus, was ich mit fremden Menschen reden soll. Ich glaube, sowas nennt man gemeinsam einsam. Ich war fleißige Vollzeitarbeiterin im Konzern und Pendlerin, gute 12 Stunden die Woche verbrachte ich im Auto. Die Pandemie brachte das Homeoffice und die Trennung. Heute bin ich...  ... 36 Jahre alt und grob überschlagen war ich die letzten fünf Jahre Single. Außerdem am Start die letzten fünf Jahre: die Kacke, die stets am Dampfen war. Ich hatte die bisher schwersten Jahre meines Lebens.  Ich habe meine Mutter dabei begleitet, wie sie mehr und mehr Fähigkeiten verlor, ich habe ihr in der Intensivstation vorgesungen, sie mehrfach in meinem Kopf beerdigt, sie in ihrer absoluten Verzweiflung getröstet, ihr im Pflegeheim den Kopf gestreichelt und immer wieder "Ich bin da. Ich bin da" gesagt. Ich habe die allerletzten Grundschulhefte aus meinem Kinderzimmer geschafft und gesehen, wie die Wärme das Elternhaus verlässt, sobald die Mama nicht mehr drin wohnt.  Mit meinen Brüdern bin ich so eng wie noch nie. Die Beziehung zu meinem Vater habe ich aufgeräumt und durch Therapie gelernt, dass ich in meiner Vergangenheit immer eine Funktion hatte. Und die war, möglichst unkompliziert, leistungsstark und unterhaltsam zu sein.  Während der Pandemie und nach der Trennung habe ich unheimlich viel gearbeitet und eine starke berufliche Entwicklung hingelegt. Heute diene ich dem Konzern nur noch 3 Tage die Woche. Mein Selbstwert hängt nicht mehr so stark davon ab, wie viel ich am Tag geleistet habe. Ich kann besser chillen. Ich habe mich auf die Reise begeben, aus all meinen Interessen und Stärken mein individuelles Berufsleben zu weben. Ein Berufsleben, das sich zu 100% nach mir anfühlt. Abseits der Erwartungen anderer (meiner Eltern oder der Gesellschaft) und auch abseits von Pfadabhängigkeit (einmal Konzern, immer Konzern, und weil man so brav alle Arbeitsanforderungen erfüllt und wir Frauen in Führung brauchen, Führungskraft?). Was es wird, Familientherapeutin meets Autorin, sowas in die Richtung, still work in progress. Ich habe wunderbare, starke und feinfühlige Frauen in meinem Leben und erlebe Mädelsurlaube wie bei Sex and the City. Weil sich diese Freundschaften durch Schwangerschaften und Babies verändern, bleibe ich offen für neue Leute und schreibe auch einfach mal jemanden an, die ich cool finde und näher kennenlernen möchte. Es fällt mir leichter, mit Leuten zu quatschen seitdem ich weiß, dass ich nur 50% der Verantwortung fürs Gespräch trage und es keine Wissensabfrage ist. Ich bin politischer geworden, war auf Demos und bin mir der Privilegien bewusst, die ich durch mein weißes Akademikerelternhaus hatte und auch der Nachteile, die ich durch mein Frau-Sein erfahre. Ich habe gelernt, dass mich mein Beziehungsstatus nicht definiert. Ich habe gelernt, dass man Gefühle nicht erzwingen kann und sie auch nicht wachsen, wenn man dran zieht. Ich habe gelernt, dass ich überangepasst bin und schneller sagen muss, wenn mich was nervt und dass es das ist, was das Leben lebendig macht. Mein letzter Beziehungsversuch hat mich davon geheilt, unbedingt eine Beziehung zu wollen. Was sein soll, wird sein. Amen 🙏🏼 Dieser Text ist aus März 2025.

  • Kolumne: Vom Dating, der Hoffnung und Enttäuschung

    Dieser Text erschien zuerst am 20.11.2023 auf amazedmag. In den vergangenen drei Jahren habe ich rund 50 Männer kennengelernt. Für ein zweites Date hat es selten gereicht, noch seltener für ein drittes. Ist die Hürde von Date 3 aber genommen, dann startet das richtige Kennenlernen. Dann tastet man sich Schritt für Schritt vor. Lotet Gemeinsamkeiten aus und Unterschiede. Wie lebst du, was ist dir wichtig, was ist deine Love Language, und überhaupt: Pommes mit Ketchup oder mit Mayo? Es fühlt sich an, als würde man in einem Computerspiel Level für Level vorwärts rücken. Ist ein Level geschafft, wurden also die Prüfungsaufgaben des Levels bewältigt und als positiv beschieden, so zieht man ins Nächste weiter. Und wie bei Donkey Kong wird’s mit jedem Level schwerer, denn irgendwann kommen Gefühle dazu – und dann wird’s kompliziert. Meine vollkommen subjektiven Levels im Dating-Game mit den jeweiligen Prüfungsaufgaben, die es zu bewältigen gilt, sehen so aus: Level 1: das Einstiegslevel, Date 1: ansprechendes Äußeres, gepflegte Zähne, kompatibler Körpergeruch, stellt interessierte Fragen Level 2: Einstieg Plus, Date 2: funktionierende schriftliche Kommunikation, ähnliche Interessen, anregende Gespräche Level 3: Intermediate, Date 3 und folgende: ähnliche Werte, Anerkennung dessen, dass Frauen heutzutage noch nicht gleichgestellt sind, das System jahrhundertelang von Männern gemacht wurde und Männer daher Privilegien genießen, Sex Level 4: der Endgegner, ab Date X?: emotionale Verfügbarkeit, beidseitige Bindungsfähigkeit, ein Paar werden, gegebenenfalls Heirat Wobei, ein Level habe ich vergessen. Nennen wir es Level Hoffnung. Das Besondere an diesem Level ist: Es läuft bei jedem Level mit und steigt kontinuierlich an. Level Hoffnung läuft immer mit und steigt kontinuierlich an. Level Hoffnung beinhaltet: Hoffnung auf ein Leben zu zweit, auf einen Partner in Crime, einen Seelenverwandten, dem ich nur einen Blick zuwerfen muss, um zu wissen, was er denkt. Hoffnung auf gemeinsam in den Urlaub fahren, genau dahin und auf die Art, wie ich es mag – weil wir eh immer Ähnliches wollen. Hoffnung auf: Mal endlich nicht alle Regale selbst tragen zu müssen, mal ein Essen gekocht zu bekommen, Alltagsmomente nicht mehr im Familienchat teilen zu müssen. Hoffnung darauf, von jemandem auserwählt zu werden, für jemanden die Nummer eins zu sein, zu wissen, er würde MIR schreiben, wenn sein Flugzeug gerade abstürzt. Hoffnung auf: endlich mal weich sein zu dürfen. Endlich mal verletzlich sein zu dürfen. Jemandem mal was mitzubringen, ohne dass ich gleich needy daherkomme. Abends „Schlaf schön, ich denk an dich 😘“ zu schreiben. Endlich mal wieder ein positives Lebensereignis zu haben, ein neuer Freund, yeay, das wär doch cool. Irgendwann kommt man beim Dating an einen Punkt, da wird Level Hoffnung zerstört. Irgendwann kommt man beim Dating an einen Punkt – meistens zwischen Level Intermediate und Level Endgegner – da wird Level Hoffnung zerstört. Da geht es nicht weiter. Da zerbröckelt all das, was ich mir heimlich ausgemalt habe. Aus unterschiedlichen Gründen: Weil man mit dem näheren Kennenlernen merkt, dass es doch nicht passt. Oder weil der Andere doch noch nicht emotional verfügbar ist. Dating ist immer auch eine Frage des richtigen Timings. Und dann tut das weh. Persönlicher als „Nein, ich will dich als Mensch nicht an meiner Seite“ kann eine Absage nicht werden. Auch, wenn Dating-Gurus predigen, diese Ablehnung als Freiheitsschlag zu sehen – dann war es eben nicht „deine Person“. Und es tut auch weh, wenn ich selbst die Partei bin, die das Ende ausruft. Und ich behaupte mal, dieser Moment, in dem klar wird „Hier geht’s nicht weiter“, der tut für einen kurzen Moment sogar mehr weh, als wenn eine Beziehung nach Jahren in die Brüche geht. Da hat man es ja wenigstens probiert, da kannte man die Unarten des Partners. Aber beim Dating liebäugelt man ja auch mit der Illusion eines Menschen: Das ist jetzt vielleicht der, der mir all meine Träume erfüllt. Mit einem potenziellen Partner kommt auch eine potenzielle Zukunft: so könnte unser gemeinsames Leben aussehen. Eine Idealisierung – und im Moment der Enttäuschung kracht’s im Herzchen. Zurückgeworfen aufs Single-Dasein: zurück zu 1000 Möglichkeiten bei null Bock Dann wird man zurückgeworfen aufs Single-Dasein. Zurück auf Level Einstieg Minus: Alles auf Anfang, zurück zum Swipen, zurück zu 1000 Möglichkeiten bei null Bock, zurück zu „Und was machst du beruflich?“. Dabei hatte ich mich doch grad ein bisschen an jemanden gewöhnt. Dazu kommt die Scham. Die Scham darüber, dass ich mir so sehr einen Partner wünsche, es aber schon wieder nicht geklappt hat. Die Scham darüber, dass ich schon wieder nicht richtig einschätzen konnte, ob es sich lohnt, in eine Person zu investieren oder nicht. Dass ich falsche Hoffnungen hatte. Dass ich es zu viel will. Oder zu wenig. Oder zu hohe Ansprüche habe. Oder beim Letzten sogar Kompromisse eingegangen bin, und es trotzdem nicht gereicht hat. Oder die Scham, dass ich es überhaupt noch probiere und mich nicht einfach mit einem partnerlosen Leben settle, ein hyper-unabhängiges Leben aufbaue, auf Männer scheiße und ein Start-up hochziehe. Das scheint heutzutage der einzige, gesellschaftlich akzeptierte Lebensentwurf für Single-Frauen Mitte dreißig zu sein: keine Kinder und Familie? Dann eben vollen Fokus auf Karriere. Dabei empfinde ich einen Partner als eine Bereicherung. Es muss halt der richtige sein. „Boah, ich könnte das ja nicht mehr, dieses Dating“ „Boah, ich könnte das ja nicht mehr, dieses Dating“, sagen mir manchmal Leute in langjährigen Beziehungen. Als wäre man jetzt Ware auf einem Ramschmarkt, der wirklich nur noch verabscheuungswürdig ist. Tatsächlich formulierte es ein Bekannter letztens: Ü30-Dating sei ein „Gebrauchtwarenmarkt mit Produkten von zweifelhafter Qualität“. Was ich solchen Leuten an den Kopf werfen will: „Wann habt ihr denn das letzte Mal mit Zunge geknutscht? Oder ein Gespräch geführt, in dem es um mehr ging als um Organisatorisches? Schlimmer als Single zu sein finde ich, in einer unglücklichen Beziehung zu sein. Und: Beziehungen können auseinander gehen! Steig‘ also von deinem hohen Ross und schau lieber, wie du dir deine Eigenständigkeit bewahrst, damit du nicht kaputtgehst, solltest du irgendwann mal wieder Single sein“. Aber die Ramschware hält lieber ihren Mund. Eine mächtige Frau ist eine, die keine Emotionen zulässt Ich habe aufgehört, meinen Freundinnen Details über meine Dates zu erzählen. Sie wissen, dass ich Dates hatte und wie mein Fazit danach ist, aber kleine Anekdötchen über ihn, was er zu mir sagt oder über mich gesagt hat, Eigenheiten, die ich beobachtet habe, was in seiner Wohnung steht – sowas teile ich nicht mehr. Den Fokus daraufzulegen, was mir an ihm gefällt, das mache ich nicht mehr. Das ist schließlich ein Anfängerfehler. Jetzt bin ich fortgeschritten, jetzt suche ich FEHLER. Meine kleine Seele findet eben Wege, wie sie sich schützen kann. Ein mächtiger Mann ist einer, der keine Emotionen zulässt. Eine NOCH MÄCHTIGERE Frau ist eine, die erst recht keine Emotionen zulässt. Da guckste blöd, Björn, muhaha. Was meine persönliche Schutzstrategie im Dating-Wirrwarr bewirkt, das habe ich kürzlich gespiegelt bekommen Was meine persönliche Schutzstrategie im Dating-Wirrwarr bewirkt, das habe ich kürzlich gespiegelt bekommen. „Ich beobachte da schon eine gewisse Bindungsunsicherheit bei dir“, hat mir ein Psychotherapeut zurückgemeldet, den ich gedatet habe. „WIE KANN MAN NACH 3 JAHREN DATING IN DER HEUTIGEN ZEIT DENN KEINE BINDUNGSSTÖRUNG HABEN?“, platzte es aus mir heraus. „Wo Kontakte einfach so abgebrochen werden und es keine Verlässlichkeit mehr gibt, wo es erst heißt: ‚Lass uns gemeinsam in den Urlaub fahren‘ und zwei Wochen später hat man ‘alles überinterpretiert und es wäre besser, wenn wir uns nicht mehr sehen‘.“ Und auch mein Bruder hat mir mein Verhalten unbewusst gespiegelt. „Ist das der, der so komisch lacht, oder der, der so trantütig ist?“, fragte er ganz nebenbei, um meine Dates einzuordnen. Das hat mich schockiert. Heiliger Bimbam, dachte ich, so rede ich über Menschen? So will ich nicht sein. Ich will offen für Bindung sein. Ich will positiv über Menschen reden. Ich will Hoffnung haben. Aber Single zu sein ist halt manchmal einfach nur verdammt schwer.

  • Kolumne: Dialoge mit meiner dementen Mama

    Meine Mutter war Deutsch- und Englischlehrerin. Schon immer hatte sie ein Faible für Sprache. Als wir mal das Brettspiel zu "Der Dativ ist dem Genetiv sein Tod" gespielt haben, ein Deutschgrammatikspiel, hat sie als Einzige die volle Punktzahl abgeräumt.  Jetzt, mit dem Fortschreiten ihrer Krankheit, ist es erstaunlich zu sehen, wie ihr Kopf nachlässt, nahezu alle Fähigkeiten verloren sind und doch: die Eloquenz und das Fabulieren, die Liebe zur Sprache - sie ist noch da! Als wäre Sprache unkaputtbar, in Moleküle reingehämmert, an die die allesfressende Demenz nicht drankommt. [Ich weiß aus Erfahrungsberichten: Das ist sie nicht! Und meine größte Sorge ist, dass meine Mama irgendwann auf immer verstummt]. Manche ihrer Aussagen schreibe ich mit - sind sie doch auch Zeugnis vom Verlauf dieser schrecklichen Krankheit, von absurden Momenten, von schönen Momenten, von tieftraurigen Momenten. Viele dieser hier zusammengestellten Dialoge sind in Momenten entstanden, in denen ich kein Lebenszeichen erwartet habe. Ihr Blick leer, die Hände in der Luft, etwas für mich Unsichtbares suchend, ihr Geist auf Wanderung. Zuvor hat sie noch "8 Uhr, 120, wo, wo" gestammelt. Und dann plötzlich: ein Satz, so poetisch als wäre er aus einem Gedichteband gepurzelt: "Sag doch mal, wie sieht es in deinem Herzen aus?" Eine goldene Regel für den Umgang mit Demenzerkrankten: Lass dich drauf ein! Sinn, Logik, Wahrheit - all das sind bürgerliche Kategorien! Endlich können wir sie hinter uns lassen und ganz in die unendliche Fantasiewelt der Kranken eintauchen, denn sie haben immer Recht. Ein aktueller Post von Desideria hat mir nochmal geholfen, zu verstehen, dass Demenzerkrankte in ihrer eigenen Realität sind und Kategorien wie Lügen oder Wahrheit für sie nicht mehr existieren - allein das Gefühl und der Wunsch nach Sicherheit und Geborgenheit zählt. Die Dialoge: Ich [Auf der Intensivstation nach Schlaganfall]: Kannst du mit den Zehen wackeln? Sie: Ja, ich könnte schon mit den Zehen wackeln. Aber das fände ich absurd. Ich: Mama, hast du eigentlich in deinem Leben gespart? Sie: Nein. Dafür hatte ich nie Zeit. Ich [gebe ihr eine Schultermassage]: Wie ist das? Sie: Das lebt Sie: Die ist vielleicht beschissen [unklar, um wen es geht]. Ich: Ja, die ist richtig nervig, oder? Sie: So richtig beschissen. Da fällt mir kein anderes Wort für ein. Ich: Mama, ich habe einen Improtheaterurlaub gemacht. Eine Woche Griechenland mit einer Gruppe und jeden Vormittag hatten wir Improtheaterstunden. Sie: Und, war das erhebend? Ich: Ja, das hat total Spaß gemacht. Sie: Wie schön, dass du so viel Schönes in deinem Leben und aus Deinem Leben machst. Ich: Ich hab dich eine LKW-Ladung voll lieb. Sie: Du liebes Bisschen! Da müssen wir uns aber nochmal drüber unterhalten. Aber da haben wir ja noch ein bisschen Zeit. Aber das machen wir auch. Sie [in der Notausfnahme, Verdacht auf Schlüsselbeinbruch. Ich komme mit einer Tupperdose selbstgemachter Kartoffelsuppe von meiner Schwägerin]: Es ist überhaupt nicht mehr schön. Sie: Es ist ein Wunder, dass du da bist. Weißt du eigentlich, wie unendlich doll ich dich liebe? Sie: Es gab ja auch Zeiten, da hatten wir nicht so viel Kontakt. Erzähl mir über dich. Wie bist du aufgewachsen? Sie: Hanna, ich kann nicht mehr denken! Ich: Wie fühlt sich Denken für dich an? Sie: Als müsste ich mich hinsetzen und alles verarbeiten, was gerade passiert ist, so viel in meinem Kopf. Und ehe ich mich versehe, kommt schon das Nächste. Sie: Meine Mutti. Meine arme kleine Mutti! Ich: Ich bin da. Sie: Aber ich bin nicht da. Lieber Gott, lassen Sie mich doch gehen! Sie: Ich finde, die Zeit, die wir gemeinsam genießen konnten, die war satt und die hat uns geprägt. Die war mit viel Liebe getrüffelt. Sie: Bleib offen! Fürchte dich nicht! Du bist das beste Stück, das ich habe. Ich liebe dich!

  • Kolumne: 10 Learnings nach einem Jahr Onlinedating

    Never forget: You are a fucking queen and only deserve the best Liebe 70-jährige Hanna, weißt du noch, als du das letzte Mal angefangen hast, wieder zu daten? Es war 2020 und du warst ein bisschen aus der Übung.  Diese 10 Dinge hast du gelernt: 1. Zunächst: keine Erwartungen  2. Ernsthaft: Schmeiß alle Erwartungen über Bord 🕊️ Hör' auf, diesen Typen zu googlen und dir vorzustellen, ob du in sein #Vanlife passt, denn 3. Online-Dating ist wie Kuscheltiere-Angeln mit dem Greifautomaten 🐻 Alles kann zu jeder Zeit entgleiten. Du kannst die Dinge nicht kontrollieren. Das ist das Prinzip von Online-Dating. Und das macht es so aufregend  ➡️ das hattest du ja schon mal in einem separaten Text beschrieben 4. The way people date🔹wie sie kommunizieren und Bindung aufbauen🔹sagt viel mehr über sie und ihre Beziehung zu sich selbst aus, als über die Beziehung zu dir 5. Was Dating und Vokabeln verbindet: wenn du übst, wirst du besser 6. Mit jedem Date wird dir außerdem klarer werden, was dir wichtig ist und was du jetzt brauchst. Stichwort: #werte 7. Die meisten Männer sind sehr höflich, wenn diese Frage dein Auswahlkriterium beim Swipen ist:  "Wie würde ich mich fühlen, wenn ich neben ihm sitze und ihm in die Augen schaue?"  8. Männer mit Oben-ohne-Bildern gleich wegswipen 9. Think twice bevor du mit abendlichen "Gute Nacht"-Nachrichten anfängst. Wenn die mal ausbleiben, fällt's auf.  10. Du schuldest einem Mann, den du im echten Leben noch nie gesehen hast, nix. Nada. Niente.  So, jetzt aber viel Erfolg bei deinem Hologramm-Date mit dem Schnuckelchen aus Südafrika. Finde ich vernünftig, dass du dich bei Date 1 noch nicht runterbeamst 🛸 2059 ist echt ein crazy Jahr 🤠 Und never forget: you're a fucking queen and only deserve the best 👸🏼 💥 PEW PEW 💥         👉🏼👉🏼 Dieser Text ist von Oktober 2021

  • Kolumne: 6 Dinge, die ich am Dating mag

    Dieser Text erschien zuerst am 20.08.2024 auf amazedmag. Jap, richtig gelesen. In diesem Text soll es um sechs Dinge gehen, die ich am Dating mag. Das überrascht vielleicht, denn: Es ist weitaus einfacher, Dating scheiße zu finden. Es gibt viel, was man daran nicht mögen kann. Dating ist oberflächlich, die Menschen sind unzuverlässig und scheuen Commitment. Dating geht immer auch mit Ablehnung zur eigenen Person einher – und das ist unangenehm. Gibt man bei Google „Dating ist“ ein, ergänzt die Suchmaschine automatisch: anstrengend, langweilig, wie ein Nebenjob, Istanbul. Ich habe noch niemanden getroffen, der gesagt hat: „Ich mache jetzt schon fünf Jahre Online-Dating und: I love it! Ich kann’s kaum erwarten, meinem nächsten Date zu erklären, was ich beruflich mache.“ Dass Dating blöd ist, ist also Konsens unter Singles – und damit Mainstream. Und wann immer etwas Mainstream ist, habe ich Lust, mal die Perspektive zu drehen. Was könnte man am Dating lieben? Warum tun sich Menschen das an, unbezahlt, in ihrer kostbaren Freizeit? Lasst uns gemeinsam genauer hinschauen. Hier kommen sechs Dinge, die ich am Dating mag: Mit jedem Date tauche ich in eine fremde Welt ein Selten in meinem Leben bin ich so vielen unterschiedlichen Menschen begegnet. Bin kurz in ihre Welt eingetaucht, habe zugehört, beobachtet und gestaunt. Da war der Ex-Geheimagent, der so belastet durch seinen Job war: der nicht mehr in eine Bar gehen konnte, ohne Menschen zu zählen und die Notausgänge auszuchecken (OMG, wenn ich das schreibe, kann ich es selbst nicht mehr glauben. Geheimagent? LOL). Der Halbitaliener, dessen Mutter gerade bei ihm lebte, weil sie sich von ihrem millionenschweren, möglicherweise mafiösen Ehemann getrennt hatte. Der Jurist, der eine Einschätzung abgab, wie viel unter Anwälten gekokst wird. Der Drehbuchautor, der mir von seiner Zeit im Writer’s Room in Hollywood erzählte. Dating holt mich aus meiner gewohnten Bubble raus. Ich erwische mich manchmal im Alltag, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, wie man gegen Gendern oder Maßnahmen für mehr Umweltschutz sein kann. Und dann treffe ich wieder jemanden, der so anders ist als ich – so andere Lebensumstände und Sorgen hat und deswegen auch ganz andere Wünsche hegt. Das gibt mir erstens eine Erklärung dafür, warum es so lange dauert, bis ich meinen Herzensmenschen finde. Es liegt eben nicht (nur) an mir: Es gibt einfach verdammt viele, verdammt unterschiedliche Menschen da draußen. Diese ganzen verschiedenen Menschen „durchzuprobieren“ mit ihren individuellen Werten, Wünschen und Interessen – das nimmt Zeit in Anspruch, die Kombinationsmöglichkeiten sind aus statistischer Perspektive betrachtet unzählig. Dating is a number’s game! Das eigentliche Wunder ist doch, wenn trotz dieser Masse an Non-Matches mal ein Mensch dabei ist, bei dem alles passt: Werte, Wünsche UND Interessen.Was ich auch erstaunlich finde: Obwohl ich diese Menschen vorab in den Apps matche und damit „vorsortiere“, sind sie immer noch so verschieden! Ist das nicht crazy?! Da sah einer passend aus, und dann passte der trotzdem nicht! DIE MENSCHEN SOLLEN AUFHÖREN SO ANDERS ZU SEIN ALS ICH, DAS NERVT! Hehe, kleiner Spaß. Aber das führt mich hierhin: Dating trainiert meine Toleranz. Es zeigt mir, wie bunt und vielfältig die Welt ist und wie unterschiedlich Menschen das Konzept “Leben” gestalten. Und dass diese eine Person, die mir gerade gegenübersitzt, vielleicht nichts für mich ist – es aber trotzdem total okay ist, dass sie existiert, und dass sie trotzdem ihren passenden Deckel finden wird. Genau wie ich. Irgendwann. Ich lerne mit jedem Date Neues Die Begegnung mit Menschen, die anders sind als ich, führt auch dazu, dass ich in die Verlegenheit komme, Neues zu lernen. Dinge, die womöglich meinen Horizont erweitern. Das fängt mit praktischem Alltagswissen an: Von Björn zum Beispiel habe ich gelernt, dass man Pilze nicht waschen darf. Von Andreas, was Umami bedeutet. Marc-Oliver hat mir Amaretto Sour gezeigt. Von Christoph weiß ich, dass man Spaghetti Bolognese fünf Tage lagern und danach immer noch ohne Bedenken essen kann. Ich habe auch neue Empfehlungen für die Stadt bekommen, in der ich seit fast 16 Jahren lebe: Dank Tom habe ich die Bar „Call Saul“ entdeckt, die ganz im Stil von Breaking Bad gestaltet ist und wo die Cocktails so dampfen wie elementarer Phosphor, der stark erhitzt wird (Danke ChatGPT für diesen Vergleich). Felix findet, dass man in München am besten im Bahnwärter Thiel tanzen gehen kann. Toby hat mir die „Lange Nacht der MAP“ gezeigt, eine Veranstaltung der Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse, bei der man erst gemeinsam einen Film guckt und danach renommierten Psychologen zuhört, wie sie die Figuren aus dem Film analysieren. I mean: WHAAAAT? Sowas gibt’s? Ich wachse mit jedem Date Es ist nicht so, dass ich immer Lust auf Dating habe. Ganz im Gegenteil: Oft habe ich gar keine Lust. Muss mich motivieren, rauszugehen und einer fremden Person meine Aufmerksamkeit zu schenken. Einer Person, die allein schon aus statistischen Gründen wahrscheinlich nicht „the one“ wird. Jedes Date ist eine Challenge für mich. Eine Challenge, die ich annehme. Ich tue es für den Moment danach: Wenn ich nach Hause komme, voll mit frischen Eindrücken von einem fremden Menschen und seinem Blick auf die Welt. Und dann bin ich stolz auf mich. Stolz, dass ich mich überwunden habe. Dass ich über mich hinausgewachsen bin. Dass ich mein Liebesleben aktiv in die Hand nehme, anstatt passiv drauf zu warten, dass mein Prinz an meinem Sofa vorbeireitet. Dass ich in diesem neuen Date wieder etwas finden konnte, was mir an einem Mann gefällt oder nicht – sodass ich wieder ein Stück besser weiß, was ich suche. Dass ich wieder mal die Erfahrung gemacht habe, dass Dates doch ganz okay sind. Dass ich mich ganz gut geschlagen habe. Denn eine ganz klare Erfahrung von mir ist auch: Dating ist Übungssache. Ich persönlich bin mit jedem Date sicherer und souveräner geworden. Habe ich mir früher noch im Vorhinein überlegt, welche Fragen ich stellen könnte, so gehe ich inzwischen viel entspannter rein, weil ich weiß: Wird schon irgendwie. So lange ich offen bin und neugierig auf diesen neuen Menschen, wird’s schon werden. Go with the flow! Und diese entspannte Einstellung nehme ich mit in andere soziale Kontexte, wo ich in Zweier-Settings auf Menschen treffe: Beim Business-Lunch zum Networken, beim Treffen mit dieser einen Bekannten, die ich noch gar nicht gut kenne. Wird schon irgendwie. Ich bin also überzeugt: Dating hat mich zu einem sozial kompetenteren Menschen gemacht. Jedes Date zeigt mir, dass Männer auch aufgeregt sind – und wir alle im selben Boot sitzen Zuerst war es eine Vermutung, inzwischen ist es für mich eine Gewissheit: Auch die vermeintlich coolen Männer sind bei Dates aufgeregt. Woher ich das nehme? Ich bin Psychologin und meine Lieblingsbeschäftigung bei Dates ist es, mein Gegenüber im Stillen genau zu beobachten. Und ich habe das hier gesehen: zitternde Lippen, flatternde Finger, schwitzen, den Faden beim Reden verlieren, nervöses Lachen, das Handy während unseres Dates verlieren, steife Körperhaltung, Rede-Ergüsse, ohne dass ich zu Wort kommen konnte – und sich danach dafür entschuldigen mit den Worten: „Das ist die Aufregung, weißt du?“. Manchmal habe ich auch ganz offen gefragt: „Bist du eigentlich aufgeregt bei so einem ersten Date?“ Und habe darauf (mal, aber nicht immer) ehrliche Antworten erhalten. Manche haben auch von sich aus irgendwann erzählt, dass sie aufgeregt waren am Anfang.Und das finde ich so schön! Warum sollten Männer auch nicht aufgeregt sein bei einem Liebes-Casting? Vielleicht lerne ich gerade meinen neuen Lieblingsmenschen kennen – das ist für alle aufregend, wir sind alle nur Menschen mit Gefühlen, Wünschen und Ängsten. Selbst bei den coolsten Typen denke ich mir: Hinter der harten Schale möchtest auch du einfach nur, dass dich jemand liebhat. Und diese Erkenntnis hat dazu geführt, dass ich denke: Wir Menschen sitzen alle im selben Boot. Wir sind hier gerade nur zwei Vertreter der Spezies Homo Sapiens, die mit offenen Herzen raus in die Welt gehen und dabei zutiefst menschliche Gefühle haben. Let me give you a hug, we will be alright! Dating gibt mir die Möglichkeit, Feedback zu meiner Person zu erhalten – und das ist manchmal überraschend nett Für mich gibt es nichts Vulnerableres auf der Welt, als sich auf den Datingmarkt zu schmeißen. Sich aus der sicheren Höhle herauszutrauen, verschiedene Menschen zu treffen, mit der Frage auf dem Herzen: Könntest du dir vorstellen, dass wir uns liebhaben? Und wenn man emotional so blankzieht, dann bleiben Ablehnung und Frustration nicht aus. Dating ist Ablehnung – da führt kein Weg dran vorbei. Einfach, weil der Regelfall ist, dass es nicht passt. In der Öffentlichkeit wird ja gerne das Bild vom unnahbaren Single-Mann gezeichnet, der nicht empfänglich ist für Gefühle und Bindung, und der auf Frauen-Herzen herumtritt. Meine Erfahrung ist eine ganz andere: Ausnahmslos alle Männer, die ich persönlich getroffen habe, waren sehr nett und zuvorkommend. Ich habe nicht eine beleidigende Erfahrung gemacht. Ich habe Ghosting erlebt, ja – allerdings nur bei Personen, mit denen ich lediglich gechattet hatte. Männer, die ich getroffen habe, und die dann kein weiteres Interesse hatten, haben das immer höflich kommuniziert. Nagt trotzdem am Ego, aber ist immerhin aufrichtig. Und dann gab es auch die, die sehr wohl interessiert an Bindung waren und mehr wollten als ich. Und hier kommt der Punkt: Sowohl höfliche Absagen, als auch hoffnungsvolle Interessensbekundungen, sind oft ummantelt von positivem Feedback über die eigene Person. Was ich schon für überraschend nette Nachrichten bekommen habe: Dass ich eine warmherzige Wohlfühlatmosphäre verbreite, dass meine Augen so leuchten, wenn ich über kreatives Schreiben spreche, dass ich im positivsten Sinne besonders sei. Und was Nettes über sich selbst zu hören, das tut manchmal einfach gut! Dating ist aufregend Oooops, wie konnte mir das nur auf den letzten Punkt rutschen? Im ganzen Dating-Wirrwarr vergesse ich es manchmal, aber: Dating kann Spaß machen. Dating ist Action und Unterhaltung. Dating heißt Begegnungen, und Begegnungen lassen Dinge entstehen. Wann sonst bietet sich die Möglichkeit, einem spontanen Kurztrip zuzustimmen und in ein ungewisses Liebesabenteuer aufzubrechen? Oder mit einem attraktiven Fremden auf dem Olympiaberg zu knutschen, während Ed Sheeran im Hintergrund sein Konzert mit dem Song „perfect“ abschließt? Dating kann dazu führen, dass man sich lebendig fühlt. Dating bringt einem Geschichten, an die man lange zurückdenkt. Nicht umsonst füllen diese Geschichten ganze Serien. „Do it for the plot!“ ist ein beliebtes Motto unter Singles. Grob übersetzt meint es: Sei die Hauptfigur in deinem persönlichen Liebesfilm. Wenn Dating Erfolg hat: toll. Wenn nicht: hast du wenigstens eine gute Geschichte. Dating heißt für mich, „ja“ zum Leben zu sagen.

  • Kolumne: Gedanken nach 6 Monaten Onlinedating

    Mein erster Eindruck: Onlinedating ist wie Kuscheltiere-Angeln mit dem Greifautomaten Das Tinder-Spiel, schonmal gespielt? 🤓 Ich war mega neugierig, wie das digitale Rumbaggern wohl so funktioniert. Es ist, was es ist, sagt die Liebe.. 💖 Könnte man jetzt sagen. Ich sage: Es ist, was du draus machst 🤹🏼‍♀️ Meines Erachtens zentral für die Erfahrungen mit tinder & co.: was man sich davon erwartet. Ich habe für mich inzwischen eine selbstwertschützende Einstellung gefunden. Eine Einstellung, mit der Swipen vor allem Spaß bringt und wenig frustrierend ist - am besten veranschaulicht über diese Metapher: ✨ Tindern ist wie Kuscheltiere-Angeln mit dem Greifautomaten ✨   Genau, diese Spielautomaten, mit denen man sich an abgeranzten Autobahnraststätten die Zeit vertreiben kann 🤖🎣🐻  HERE'S WHY:  🔹Man erwartet nix und will nur mal gucken, was man so angeln kann 🔹Wirklich angewiesen ist man auf keins dieser Kuscheltiere 🔹Man wirft keine 50 Euro Scheine ein, sondern investiert maximal 50 Cents 🔹Dieses eine süße Kuscheltier kriegt man nicht gegriffen   🔹Hat man ein Tier in der Roboterhand, kann es einem immer und zu jeder Zeit wieder entgleiten 🔹Das lässt sich auch nicht kontrollieren, indem man die Knöpfe fester drückt. So funktioniert das Spiel  🔹Der Erfolg des Spiels hat somit nix mit Können und/oder Persönlichkeit des Spielers zu tun  🔹Hält man ein erfolgreich erangeltes Kuscheltier in den Händen, sieht es oft ganz anders aus als durch die Automaten-Scheibe erahnt  🔹Mit diesem Kuscheltier möchte man unter Umständen nicht kuscheln 🔹Dafür können weder Spieler noch Kuscheltier etwas  🔹Man zuckt also mit den Schultern und denkt: Joa, und jetzt?  🔹Man legt es sanft auf die Fensterbank. Bestimmt kommt bald jemand, der genau dieses Tier mitnehmen möchte 🔹Dann wendet man sich dem Automaten zu und wirft weitere 50 Cents ein 🔹Mal gucken, was man so angeln kann Dieser Text ist erstmals erschienen im Mai 2021.

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